Noch mehr Schwung für das 365-Euro-Ticket in Leipzig

Viele halten ein 365-Euro-Ticket für unbezahlbar, doch SPD und Linke wollen es möglichst schnell in Leipzig einführen. Beide haben jetzt dafür einen gemeinsamen Antrag im Stadtrat gestellt. Die Details.

Viele wollen den neuen Fahrschein, doch die Infrastruktur der LVB – hier die große Abstellhalle im Straßenbahnhof Angerbrücke – ist nicht für einen großen Fahrgastansturm ausgelegt.

Viele wollen den neuen Fahrschein, doch die Infrastruktur der LVB – hier die große Abstellhalle im Straßenbahnhof Angerbrücke – ist nicht für einen großen Fahrgastansturm ausgelegt. Quelle: Dirk Knofe

Leipzig

Jetzt proben Linke und SPD im Stadtrat den Schulterschluss, um ein 365-Euro-Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr auf den Weg zu bringen: Beide Fraktionen haben am Freitag im Rathaus einen gemeinsamen Prüfauftrag für die Einführung des Fahrscheins vorgelegt. Er sehe gute Chancen, dieses Angebot in der nächsten Legislaturperiode des Stadtrates einzuführen, erklärte SPD-Fraktionsvorsitzender Christopher Zenker – also bis zum Jahr 2025.

OBM Jung soll Auswirkungen prüfen lassen

Zenker betonte, die SPD-Fraktion sei auf die Linke zugegangen, um den Gemeinschaftsantrag auf den Weg zu bringen. „Wir wollen zeigen, dass es sich nicht nur um Wahlkampfgetöse geht“, erklärte er. Auch er habe sich vor zwei Jahren dieses Ticket noch nicht vorstellen können. Aber mit Blick auf den Klimawandel und hohe Förderquoten durch den Kohleausstieg sei es jetzt möglich geworden. Stadtrat Steffen Wehmann(Linke) betonte, seine Fraktion bemühe sich „nicht erst seit gestern oder vorgestern“ um niedrige Preise im Nahverkehr.

Beide Fraktionen fordern jetzt von Oberbürgermeister Burkhard Jung(SPD), dass er bis Jahresende ein Konzept für die Einführung des Tickets ab Januar 2021 vorlegt, mit dem man praktisch für einen Euro am Tag Leipzigs gesamtes Nahverkehrsangebot nutzen kann. Jung soll auch ermitteln lassen, welche Angebotserweiterungen im Nahverkehrerfolgen müssen und wie viele Kunden die Leipziger Verkehrsbetriebe(LVB) mit dem Ticket zusätzlich gewinnen können. Auch die finanziellen Auswirkungen der Angebots- und Ticketoffensive soll der OBM kalkulieren, ein entsprechendes Finanzierungskonzept für den Zeitraum 2021 bis 2030 vorlegen sowie mit Land und Bund Fördermöglichkeiten ausloten. 

LVB sollen „Ordnung in ihren Laden bringen“

„Das Ticket wird nicht von heute auf morgen möglich“, betonte Stadtrat Reiner Engelmann (Linke). Zunächst müssten die Voraussetzungen für die Mitnahme von deutlich mehr Fahrgästen geschaffen werden. Die LVB sollten dafür zunächst „ihre Hausaufgaben“ machen, also den Fahrermangel in den Griff bekommen, pünktlicher verkehren und keine Fahrten mehr ausfallen lassen. Außerdem müssten die LVB „Ordnung in ihren Laden“ bringen und ihre „aufgebauschte Struktur“ aus vielen Teilfirmen wieder zurückfahren, so Engelmann. 

Der Jurist und SPD-Stadtratskandidat Henrik Fischer skizzierte Vorstellungen für eine baldige Busnetzreform: Es sollten neue Express-Busse eingesetzt werden, die nur die Knotenpunkte des Nahverkehrsverbinden, hieß es. Entlang des Tangentenvierecks müssten weiter Buslinien entstehen. Auch auf allen Hauptachsen der Straßenbahn sollten mehr Bahnen verkehren und so die Fahrtakte verdichten; neue Straßenbahnstrecken und -linien müssten ebenfalls geplant und gebaut werden. Reiner Engelmann kritisierte, dass die Straßenbahnstrecken in der August-Bebel-Straße und in der Goethestraße aufgegeben wurden und forderte noch vor der Einführung des neuen Jahresfahrscheins einen Fünf-Minuten-Takt auf allen Hauptstrecken.

Leipzigs Nachbarkommunen sollen mitmachen

Stadträtin Franziska Riekewald erklärte, dass der OBM Verhandlungen mit den Bürgermeistern aller umliegenden Gemeinden aufnehmen sollte, damit Leipzigs künftiges 365-Euro-Ticket auch dort genutzt werden kann. Stadtrat Heiko Oßwald hofft, dass solche Angebotsverbesserungen so viele zusätzliche Fahrgäste in den Nahverkehr locken, dass diese Fahrgasteinnahmen die finanziellen Ausfälle durch den günstigen Fahrschein „weitestgehend kompensieren“.

Erste Reaktionen auf diesen Vorstoß gab es von FDP und AfD. Stadtrat Sven Morlok nannte den Antrag einen billigen Wahlkampftrick. „Man verpackt das Ganze in einen netten Prüfauftrag und will dann den Wählern zwei Wochen vor der Stadtratswahl verkaufen, man habe die Einführung des 365-Euro-Tickets durchgesetzt“, so der Liberale. Stadtrat Christian Kriegel (AfD) sieht die Notwendigkeit eines 365-Euro-Tickets, macht aber die Linken und die SPD für die unzureichende Infrastruktur der LVB verantwortlich. „Von beiden Fraktionen sitzen vier Stadträte im Aufsichtsrat der LVB; sie hätten längst eingreifen und das Unternehmen auf finanziell solide Beine stellen müssen“, erklärte er. „Dann hätten wir jetzt nicht diese Probleme. Sie sind hausgemacht.“

Von Andreas Tappert